► Genehmigung für Windenergieanlage nach §§ 6, 5 BImSchG. ► Planungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 I Nr. 5, III 3 BauGB; Anforderungen an eine Konzentrationszone für Windenergieanlagen. ► Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 BauGB. ► Stecken gebliebenes Genehmigungsverfahren; Bescheidungsurteil, § 113 V 2 VwGO
OVG Münster Urteil vom 28. 8. 2008 (8 A 2138/06) NWVBl 2009, 110
Fall (WEA außerhalb der Konzentrationszone)
Die - späteren - Kläger K haben bei der zuständigen B-Behörde der Kreisverwaltung die immissionsschutzrechtliche Genehmigung dreier größerer Windenergieanlagen (WEA) beantragt. Der Standort des Vorhabens liegt im Außenbereich der Gemeinde G. Er ist planerisch nicht als Vorranggebiet für WEA vorgesehen. Eine solche Konzentrationszone (Vorranggebiet, Eignungsbereich) für WEA hat die Gemeinde in ihrem Flächennutzungsplan an anderer Stelle vorgesehen. Dort befinden sich schon zwei Windräder; für weitere ist kein Platz. Bei ihrer Antragstellung haben K weder Unterlagen für eine Umweltverträglichkeitsprüfung noch ein schalltechnisches Gutachten vorgelegt.
Die B-Behörde übersandte die Unterlagen der Gemeinde G. Diese verweigerte ihr Einvernehmen. Unter Hinweis auf §§ 35, 36 BauGB lehnte B den Genehmigungsantrag ab. K wollen verwaltungsgerichtliche Klage erheben. Mit Aussicht auf Erfolg ?
A. K erstreben mit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung (vgl. 4. BImSchV Anhang 1.6) einen Verwaltungsakt, so dass eine Verpflichtungsklage nach § 42 I VwGO zulässig ist. Auf die Frage, ob sich die Klage auf eine Verurteilung der beklagten Behörde zum Erlass der Genehmigung oder bloß auf eine Neubescheidung richtet, braucht im Rahmen der Zulässigkeit nicht eingegangen zu werden, weil das eine Frage des Anspruchs im Rahmen der Begründetheit ist.
B. Die Begründetheit der Verpflichtungsklage richtet sich nach § 113 V VwGO.
I. Die Ablehnung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist rechtswidrig, wenn die B-Behörde zu ihrer Erteilung verpflichtet war. Geregelt ist die Erteilung der Genehmigung in § 6 BImSchG. Diese Vorschrift verweist in Nr. 1 auf § 5 BImSchG (und Rechtsverordnungen) und in Nr. 2 auf „andere öffentlich-rechtliche Vorschriften“.
1. Zu den anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 5 Nr. 2 BImSchG) gehören vor allem die planungsrechtlichen Regelungen des BauGB. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung umfasst die Baugenehmigung (vgl. § 4 BImSchG: die „Errichtung“); daneben ist eine einfache Baugenehmigung nicht mehr erforderlich (§ 13 BImSchG). Die BImSchG-Genehmigung darf deshalb nur erteilt werden, wenn die Anlage bauplanungsrechtlich zulässig ist.
a) Die WEA sollen im Außenbereich der Gemeinde G errichtet werden, so dass planungsrechtlich § 35 BauGB einschlägig ist. Danach sind zulässig die in § 35 I BauGB aufgeführten (privilegierten) Vorhaben unter den dort aufgeführten Voraussetzungen. Dazu gehört nach § 35 I Nr. 5 BauGB ein Vorhaben, wenn es „der Nutzung der Wind- oder Wasserenergie dient“. Die WEA der K dienen der Nutzung der Windenergie.
b) Allerdings dürfen keine öffentlichen Belange entgegenstehen (§ 35 I Satz 1). In welchen Fällen öffentliche Belange entgegenstehen, ist in § 35 III Satz 1 Nr. 1 - 8 aufgeführt, von denen keiner im vorliegenden Fall zutrifft. Anwendbar ist aber § 35 III Satz 3. Danach stehen öffentliche Belange einem Vorhaben nach Absatz 1 Nr. 2 - 6 „in der Regel“ entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist.“
aa) Die Gemeinde G hat in ihrem Flächennutzungsplan an anderer Stelle eine Konzentrationszone für WEA ausgewiesen. Deshalb hat sie ihr Einvernehmen, das nach § 36 BauGB erforderlich war, verweigert.
bb) Die Rechtsprechung hat § 35 III 3 BauGB aber entsprechend der Intention des Gesetzgebers, die Windenergie als erneuerbare Energie zu fördern, (einschränkend) dahin ausgelegt, dass der Flächennutzungsplan sicherstellen muss, dass sich die betroffenen Vorhaben an anderer Stelle gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen. Dem Plan muss ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegen, das den allgemeinen Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots gerecht wird (OVG Münster S. 112, grundsätzlich in diesem Sinne BVerwGE 117, 287, 294 ff.). Insbesondere darf es sich um keine, auch nicht um eine „verdeckte“ Verhinderungsplanung handeln.
Im vorliegenden Fall ist in der Konzentrationszone der Gemeinde G nur Platz für zwei Windräder. Damit wird der Windenergie auf dem Gebiet der G keine substanzielle Chance gegeben (vgl. die dahingehenden Ausführungen des OVG Münster auf. S. 112/3, u. a. mit dem Argument, die Konzentrationszone umfasse nur 0,43 % des gesamten Gemeindegebiets).
c) Folglich ist der Flächennutzungsplan zumindest insoweit nichtig und steht der Privilegierung des Vorhabens der K nach § 35 III 3 BauGB nicht entgegen.
d) Dass die Gemeinde G ihr Einvernehmen nach § 36 BauGB verweigert hat, steht dem Vorhaben ebenfalls nicht entgegen. Die Verweigerung durfte nur erfolgen, wenn das Vorhaben planungsrechtlich nicht zulässig war (§ 36 II 1); das war hier aber nicht der Fall. Zwar war die B-Behörde an die Verweigerung gebunden und durfte die Genehmigung nicht erteilen. Für das VG gilt dies aber nicht. Das VG muss sich, damit der Rechtsschutz des Vorhabenträgers nicht vereitelt wird, über ein rechtswidrig verweigertes Einvernehmen hinwegsetzen. Es braucht auch nicht abgewartet zu werden, ob die Aufsichtsbehörde das Einvernehmen ersetzt (§ 36 II 3 BauGB).
2. Von der Anlage dürfen, damit diese genehmigt werden darf, keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen (§§ 6 I Nr. 1, 5 I Nr. 1 und 2 BImSchG).
a) Dazu können Geräusche gehören, die von den WEA verursacht werden (vgl. § 3 I, II BImSchG). Hierzu sind derzeit aber keine Feststellungen möglich, weil K kein schalltechnisches Gutachten vorgelegt hat.
b) Darüber hinaus sind die Umweltauswirkungen der WEA in einer Umweltverträglichkeitsprüfung darzustellen und im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen (UVPG Anhang 1.6.3, § 11 UVPG). Auch diese fehlt.
II. Die hier gegebene Situation ist in der Praxis nicht selten. Denn wenn der Antragsteller Grund zu der Annahme hat, dass das Vorhaben bereits an den planungsrechtlichen Anforderungen scheitern könnte, spart er sich zunächst die weiteren, kostenträchtigen Verfahrensschritte. Es fragt sich, wie das VG in solchem Fall eines stecken gebliebenen Genehmigungsverfahrens (OVG S. 111 unter 2) verfährt. Dabei ist auch die Frage zu behandeln, welche Rechtsstellung der Vorhabenträger (Antragsteller, Kläger) in solchem Falle hat.
1. Die BImSchG-Genehmigung ist eine gebundene Genehmigung (§ 6 BImSchG: „ist zu erteilen“; OVG S. 111 unter b). Bei dieser hat das VG grundsätzlich den Rechtsstreit spruchreif zu machen, indem es die weiteren Voraussetzungen prüft und je nach dem Ausgang dieser Prüfung eine Entscheidung trifft. (Zur Verpflichtung zur Spruchreifmachung bei einer Anfechtungsklage BVerwG NVwZ 2009, 253.) Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer gebundenen Genehmigung vor, wurde der Kläger durch die Ablehnungsentscheidung der Behörde in seinem Recht auf Erteilung der Genehmigung verletzt und kann vom VG Verurteilung der Behörde zur Erteilung der Genehmigung verlangen. Auf ein bloßes Bescheidungsurteil (§ 113 V 2 VwGO), das grundsätzlich nur bei Ermessensentscheidungen vorgesehen ist, braucht er sich nicht verweisen zu lassen.
2. Im vorliegenden Fall eines stecken gebliebenen Genehmigungsverfahrens ist das VG aber ausnahmsweise von der bei Verpflichtungsklagen gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO grundsätzlich bestehenden Pflicht, die Sache spruchreif zu machen, entbunden (OVG S. 111). Die Prüfung, ob und in welchem Umfang eine UVP erforderlich ist und ggfs. ihre Durchführung ist eine Aufgabe, die der Verwaltungsbehörde obliegt und ihr vom VG nicht abgenommen zu werden braucht.
3. Somit können K nur ein Urteil erreichen, durch das die B-Behörde verurteilt wird, K erneut und unter Vermeidung der aufgezeigten Fehler zu bescheiden (Bescheidungsurteil).
Zusammenfassung